Cover
Titel
Australien, Ozeanien, Neuseeland.


Autor(en)
Mückler, Hermann
Reihe
Neue Fischer Weltgeschichte
Erschienen
Frankfurt am Main 2020: S. Fischer
Anzahl Seiten
640 S.
Preis
€ 78,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eva Bischoff, Internationale Geschichte, Universität Trier

Das „Pazifische Jahrhundert“ wurde bereits mehrfach ausgerufen: Bereits im Jahr 1924 plädierte der deutsche Geograph Karl Haushofer für eine „Geopolitik des Pazifischen Ozeans“.1 Rund 100 Jahre später, im August 2023, brach die deutsche Außenministerin zu einer Pazifikreise auf, um die Länder der Region für eine engere Kooperation zu gewinnen. In keinem der beiden Fälle zeigte der Appell die gewünschte Wirkung. Die Weimarer Republik, wie auch die nachfolgenden deutschen Staaten, entwickelten keine vertieften Beziehungen zur Region. Annalena Baerbocks Mission scheiterte symbolträchtig auf dem Flugfeld von Abu Dhabi an einem defekten Regierungsflieger. Der sozial- und geisteswissenschaftlichen Aufmerksamkeit für den Pazifik ging es in den letzten einhundert Jahren ganz ähnlich. Im Gegensatz zu anderen außereuropäischen Räumen bildete sich keine dezidierte Disziplin (ähnlich der Afrikanistik) oder eine Regionalwissenschaft (wie etwa die Area Studies zu Lateinamerika) für diese Region heraus.2 Und dies, obwohl der Pazifik seit Georg Forsters Bericht über seine Erlebnisse an Bord der HMS Resolution während James Cooks zweiter Reise in den Pazifik (1772–1775)3 auch im deutschsprachigen Raum im Zentrum des kunsthistorischen und ethnologischen Interesses stand, wie umfangreiche Sammlungen in zahlreichen Museen Österreichs und Deutschlands eindrucksvoll dokumentieren.

Mit Blick auf diese Entwicklung ist es überaus begrüßenswert, dass der Wiener Ethnologe Hermann Mückler 2020 eine Überblicksdarstellung vorgelegt hat, die sich dieser Region widmet. In der Vorgängerreihe, deren Bände zwischen 1965 und 1983 erschienen, verteilten sich die (sparsamen) Informationen über diese Weltregion auf verschiedene Bände.4 Zu Australien liegen bislang nur zwei aktuelle Einführungswerke auf Deutsch vor, und es gibt keine entsprechende Publikation zu Neuseeland.5 Erschienen im Rahmen der seit 2012 aufgelegten Reihe Neue Fischer Weltgeschichte, füllt Mücklers Monographie damit eine bis dahin klaffende Lücke im deutschsprachigen Kontext.

Wie alle Wissenschaftler:innen, die sich mit dem Pazifik beschäftigen, steht Mückler vor der Schwierigkeit, den geographisch sehr großen und kulturell überaus heterogenen Forschungsgegenstand genauer zu bestimmen. Matt Matsuda, einer der führenden Köpfe der Pacific History, schlägt vor, den Pazifik als eine „historical assemblage“ zu begreifen, „with multiple seas, cultures, and peoples, and especially the overlapping transits between them“.6 Ein Überblickswerk genießt die dafür notwendige darstellerische Flexibilität nicht, sondern muss häufig Verlagsvorgaben erfüllen. Mückler fokussiert in dem Werk auf den Bereich des Südpazifiks (Polynesien, Melanesien und Mikronesien), Aotearoa New Zealand und Australien.

Die Inklusion Australiens erscheint zunächst überraschend. Während Neuseeland dem sogenannten „polynesischen Dreieck“ zugeordnet und damit als Teil Ozeaniens angesehen werden kann (S. 29), gilt Australien in seinen „[p]hysisch-anthropologische[n] sowie sozial- und kulturanthropologische[n] Aspekte[n]“ als „separat“ und ist „kein Teil Ozeaniens“ (S. 27, HiO), wie Mückler festhält. Sein Werk, so erklärt der Autor eingangs, verbinde damit zwei Großregionen, von der die eine als „Salzwasserwüste“ und die andere als „Sandwüste“ zu charakterisieren sei (S. 34). Neuseeland steche aufgrund seiner günstigen klimatischen Bedingungen (S. 35) und als „Inselstaat innerhalb Ozeaniens aufgrund seiner kolonialhistorischen Entwicklung und seiner angelsächsisch geprägten Bevölkerungsmehrheit“ heraus (S. 33). Diese stereotype Charakterisierung der beiden Großräume erscheint, wie Mückler selbst feststellt, nur aus europäischer Perspektive sinnvoll: Weder Aborigines noch Pacific Islanders sahen ihre Umgebung als lebensfeindliche Wüste, sondern ganz im Gegenteil als eine vitale Lebenswelt (S. 34f.). Hier zeigt sich die zentrale Sichtachse von Mücklers Darstellung: der Blick Europas in die Welt.7

Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis bestätigt diesen Eindruck. Im Anschluss an eine Einleitung, welche die Begriffsgeschichte erläutert, die Bestimmung des Gegenstandes (s.o.) leistet und die naturräumlichen Rahmenbedingungen Australiens und Ozeaniens erklärt, gliedert sich der Text chronologisch: Teil I erläutert die Vorgeschichte, die Zeit vor dem first contact. Die Teile II (16. bis frühes 19. Jh.) und III (19. Jh. bis 1945) berichten über die Kolonialzeit, gefolgt von Teil IV, der Phase der Dekolonialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg. Am Ende steht eine abschließende Betrachtung der Gegenwart (Teil V). Dabei liegt der Schwerpunkt der Darstellung auf der Kolonialzeit. Die Teile II und III umfassen über 270 Seiten von insgesamt rund 550 Seiten Fließtext, dabei entfallen rund 180 Seiten auf Teil III. Dieser Abschnitt ist damit ebenso umfangreich wie derjenige zur Phase der Dekolonialisierung nach 1945 und der zur indigenen „Vorgeschichte“ der Region zusammengenommen. Das Werk ist damit im Kern eine Darstellung der europäischen Kolonialisierung.

Innerhalb dieses Rahmens präsentiert Mückler eine beeindruckende Fülle an Informationen und demonstriert umfassende Sachkenntnis. Die Darstellung ist systematisch breit aufgestellt: Mückler beschränkt sich keinesfalls auf Politikgeschichte, sondern behandelt in den Kapiteln I, III und IV jeweils auch Gesellschaftsgeschichte, Technik- und Wirtschaftsgeschichte sowie religions- und kulturhistorische Fragen. Mit Blick auf die Diversität der in den Blick genommenen Gesellschaften und die Länge des behandelten Geschichtszeitraum ist dies eine ganz außerordentliche Leistung. Darüber hinaus ermöglicht dieser Zuschnitt, über die longue durée die Bedeutung einzelner Faktoren zu verfolgen. An dieser Stelle sei kurz ein Beispiel besonders hervorgehoben: die Bedeutung von Religion. Der Autor arbeitet nicht nur die Bedeutung der Missionsgesellschaften für die Kolonisierung Ozeaniens heraus, die sowohl für die französische als auch die britische und die amerikanische Kolonialmacht als eine Art Vorhut agierten (S. 246ff., S. 400ff.). Darüber hinaus zeigt er auch auf, wie die daraus resultierende nachhaltige Christianisierung der Pacific Islanders nach 1945 mit der Ausbreitung US-amerikanischer, evangelikal-fundamentalistischer Kirchen eine Radikalisierung erfuhr, welche das Zusammenleben in den multiethnischen und multireligiösen Gesellschaften der Region zu erschweren droht (S. 518ff.). Weiterhin erläutert er im Kontext der Spezifika und Vielschichtigkeit des antikolonialen Widerstandes, dass dieser sowohl die Form gewaltsamen Widerstands (S. 349ff., S. 457ff.) als auch die Gestalt einer revitalistischen, protonationalistischen und chiliastischen Erwartungsbewegung („Cargo-Kult“) annehmen konnte (S. 349ff., S. 413ff.). Letztere stellen eine „regionalspezifische Besonderheit“ (S. 354) dar, wie Mückler festhält.

Eine solche breite Überblicksdarstellung stößt dabei naturgemäß auch an ihre praktischen Grenzen. Die Abfassung eines solchen Werkes ist zeitaufwändig und einzelne Abschnitte drohen bei Veröffentlichung bereits vom Forschungsstand überholt zu sein. Ein konkretes Beispiel hierfür ist das Unterkapitel zu „Landwirtschaft und Ernährung bei den Aborigines“, in dem ein sehr traditionelles Verständnis der indigenen Lebensweise als Jäger und Sammlerinnen vermittelt wird (S. 123ff.). Jedoch hat sich, ausgehend von Bruce Pascoes Monographie Dark Emu im Jahr 2018 kurz vor Publikation von Mücklers Darstellung, eine intensive Auseinandersetzung um die Frage entwickelt, inwiefern die systematische Nutzung von Pflanzen, wie etwa der Murnong Yam Daisy (microseris lanceolata), als Landwirtschaft zu bezeichnen sind.8 Diese Debatte bildet sich nicht in Mücklers Darstellung ab. Auch die 2019 als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannte Budj Bim Cultural Landscape, das größte und älteste Aquakultursystem der Welt, errichtet von den Gunditjmara in Südostaustralien, findet bei Mückler keine Erwähnung.9 An diesem Beispiel zeigt sich ein struktureller Nachteil von Überblickswerken allgemein, der hier benannt sein soll, um die Notwendigkeit einer aufmerksamen, die Lektüre begleitenden Recherche hervorzuheben.

Trotz der genannten Einwände und Hinweise ist Mücklers Werk ein wichtiges und gelungenes Einführungswerk, welches Nichtfachleuten und interessierten Studierenden einen ersten Einblick in die Geschichte Australiens, Neuseelands und Ozeaniens verschafft; besonders hervorzuheben ist hierbei die kommentierte Literaturliste im Anhang des Bandes. Aber auch Expert:innen einzelner Epochen oder einzelner Räume können von der Lektüre profitieren, denn der weite Blick der Publikation bietet die Möglichkeit, das eigene Spezialwissen besser zu kontextualisieren. In diesem Sinne sei die Lektüre all jenen empfohlen, die sich in die Region einlesen oder dort weiter umschauen wollen.

Anmerkungen:
1 Karl Haushofer, Geopolitik des Pazifischen Ozeans. Studien über die Wechselbeziehungen zwischen Geographie und Geschichte, Berlin 1924.
2 Felix Brahm, Wissenschaft und Dekolonisation. Paradigmenwechsel und institutioneller Wandel in der akademischen Beschäftigung mit Afrika in Deutschland und Frankreich, 1930–1970, Stuttgart 2010.
3 Georg Forster, A Voyage round the World in His Britannic Majesty’s Sloop Resolution, Commanded by Capt. James Cook, during the Years, 1772 1772, 3, 4, and 5, 2 Bde., London 1777 (englische Erstausgabe); ders., Johann Reinhold Forster’s […] Reise um die Welt während den Jahren 1772 bis 1775, 2 Bde., Berlin 1778–1780 (deutsche Erstausgabe). Beide Bände sind als Digitalisat und im Volltext im Deutschen Textarchiv verfügbar, https://www.deutschestextarchiv.de (19.11.2023).
4 Wolfgang J. Mommsen, Das Zeitalter des Imperialismus, Fischer Weltgeschichte Bd. 28, Frankfurt am Main 1969; David Kenneth Fieldhouse, Die Kolonialreiche seit dem 18. Jahrhundert, Fischer Weltgeschichte Bd. 29, Frankfurt am Main 1965; Lucien Bianco, Das moderne Asien, Fischer Weltgeschichte Bd. 33, Frankfurt am Main 1969.
5 Gerhard Leitner, Geschichte Australiens, Stuttgart 2016; Johannes H. Voigt, Geschichte Australiens und Ozeaniens. Eine Einführung, Geschichte der Kontinente Bd. 4, Köln 2011.
6 Matt K. Matsuda, Pacific Worlds. A History of Seas, Peoples, and Cultures, Cambridge 2012, S. 2.
7 Dabei ist diese Zusammenschau gar nicht unüblich, wie englischsprachige Einführungswerke zeigen. Ein gutes Beispiel hierfür ist: Donald Denoon / Philippa Mein-Smith / Marivic Wyndham, A History of Australia, New Zealand and the Pacific, Blackwell History of the World, Oxford 2000. Der Aufbau dieses Werkes ist streng thematisch und die Autor:innen zeigen neben Gemeinsamkeiten und Unterschieden auch die Verflechtungsgeschichte(n) aus der Perspektive der Region auf.
8 Bruce Pascoe, Dark Emu. Aboriginal Australia and the Birth of Agriculture, London 2018; Peter Sutton / Keryn Walshe, Farmers or Hunter-Gatherers? The Dark Emu Debate, Carlton 2021. Zum Einstieg sei empfohlen die Übersicht über die auf der Wissenschaftskommunikationsplattform The Conversation erschienenen Artikel zu diesem Thema: „Articles on Dark Emu“, https://theconversation.com/global/topics/dark-emu-90635 (19.11.2023).
9 UNESCO World Heritage Convention: Budj Bim Cultural Landscape, https://whc.unesco.org/en/list/1577 (19.11.2023).

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